Herr Dr. Mishra, Sie sind Doktor der ayurvedischen Medizin und helfen seit vielen Jahren Menschen dabei, gesundheitliche Probleme mithilfe der ayurvedischen Heilmethode in den Griff zu bekommen und aufzulösen. Können Sie uns einen kurzen Überblick darüber geben, worum es bei der traditionellen indischen Heilkunst Ayurveda geht?
Ayurveda, das „Wissen vom Leben“, ist eine sehr alte Wissenschaft, die vollkommen auf der Natur, auf natürlichen Vorgängen fußt. Sie ist sehr umfassend, aber im Zentrum stehen immer die drei Prinzipien des Lebens, die wir auch Doshas nennen: Vata, Pitta und Kapha. Vata ist das Prinzip der Bewegung, der Geschwindigkeit, Pitta das Prinzip der Umwandlung und der Energie. Kapha bezeichnet das Prinzip der Festigkeit, der Masse. Diese drei Prinzipien – oder auch Lebensfeuer – arbeiten in unserem Körper zusammen, sie beeinflussen und steuern jeden Mechanismus - auch und gerade solche, die sehr tief gehen. Wenn die drei Prinzipien sich im Gleichgewicht befinden – und im Gleichgewicht gehalten werden –, arbeitet der Körper normal. Wenn nicht, entstehen im Körper Bedingungen, die das Wachstum und die Verbreitung z. B. von Viren und Bakterien begünstigen, und der Mensch wird krank.
Wirken die drei Prinzipien nur auf körperlicher Ebene oder gibt es auch geistige Entsprechungen?
Selbstverständlich bezeichnen die drei Doshas nicht nur körperliche Prinzipien, sondern auch emotionale, geistige. Vata steht dabei für die Begeisterung, Pitta für die Neugierde und Kapha für die Toleranz. Damit wir gesund und kraftvoll bleiben, ist es notwendig, die drei Doshas auch auf psychischer und emotionaler Ebene im Gleichgewicht zu halten.
Sie sind nicht nur in Indien, sondern auch in verschiedenen europäischen Ländern als ausgezeichneter Diagnostiker bekannt. Hier im Engel können Gäste sich von Ihnen beraten lassen. Wie läuft so eine Beratung ab?
Zunächst einmal versuche ich zu verstehen, welches Dosha in der Person überwiegt. Die drei Doshas sind immer gleichzeitig vorhanden, und sie sind immer im Fluss, auch im Laufe des Tages verändern sie sich kontinuierlich: Morgens ist Vata prädominant, mittags Pitta, am Abend Kapha – man kann sich das ein bisschen wie eine Welle vorstellen, ein Auf und Ab. Dieses Auf und Ab geschieht in jeder einzelnen Zelle, jedem Molekül unseres Körpers, und es erzeugt eine Bewegung im Körper, die am Pulsschlag abgelesen werden kann. Die Pulsdiagnose gibt also Aufschluss darüber, inwieweit Vata, Pitta und Kapha im Ungleichgewicht sind. Darüber hinaus arbeite ich mit einem ausführlichen Anamnese-Fragebogen, den der Gast ausfüllt, und ich schaue mir den Menschen insgesamt an: Welche Konstitution hat er, und wie ist seine emotionale Verfassung? Vata-Menschen zum Beispiel sind geistig sehr aktiv und flexibel. Sie haben trockene Haut und leiden oft unter Verstopfung. Kapha-Typen neigen hingegen häufig zu Übergewicht und fettiger Haut. Äußerliche Merkmale und erkennbare Charakterzüge helfen also zu verstehen, von welchem Dosha zu viel bzw. zu wenig vorhanden ist.
Was geschieht nach dem Erstgespräch?
Der nächste Schritt besteht darin, geeignete Lebensmittel auszuwählen, um das Ungleichgewicht aufzuheben, denn auch die unterschiedlichen Lebensmittel und die Art und Weise, wie sie zubereitet werden, können entweder Vata, Pitta oder Kapha zugeordnet werden. Wir unterscheiden dabei insgesamt 20 Eigenschaften, wie kalt und heiß, fest und flüssig, trocken und ölig und dergleichen, die sowohl im Körper als auch bei den Lebensmitteln vorhanden sind. Hülsenfrüchte etwa gelten als trocken, rohes Gemüse als luftig. Beide steigern Vata. Ist also zu viel Vata im Körper enthalten, sollte man diese Lebensmittel eher weglassen und stattdessen häufiger zu öligen Speisen greifen, beispielsweise zu Eiern und Käse. Umgekehrt sollte jemand, bei dem Kapha überwiegt, öliges Essen und auch rotes Fleisch meiden.
Jeder Gast erhält also im Rahmen seiner Beratung einen ganz persönlichen Ernährungsplan von Ihnen?
Ja, genau. Hier im Engel wird dieser dann sofort von der Küche umgesetzt, so dass Massagen, Yoga, Ölgüsse und andere Behandlungen, die während des Aufenthalts geplant sind, ihre volle Wirkung optimal entfalten können. Ich achte beim Ausarbeiten des Ernährungsplans auch sehr darauf, persönliche Vorlieben und Abneigungen so weit wie möglich zu berücksichtigen. Und ich arbeite mit den vorhandenen, lokalen Lebensmitteln, Kräutern und Gewürzen. Das ist wichtig, weil die ayurvedische Ernährung idealerweise auch nach der Abreise einfach Teil des Alltags werden und bleiben sollte. Da macht es wenig Sinn, wenn im Ernährungsplan lauter Speisen und Gewürze stehen, die in Europa nur schwer erhältlich sind.
Welche Rolle spielt die Bewegung?
Bewegung und Atemübungen sind die zweite Säule des Panchakarma, der ayurvedischen Therapie. Je nach Körpertyp wähle ich gemeinsam mit dem Patienten die für ihn passenden Übungen aus, die die Organe stimulieren und zur Ausscheidung der vorhandenen Toxine führen sollen. Eine solche Übungssequenz besteht aus Dehnungs- und Atemübungen sowie körperlichen Übungen und dauert in der Regel nicht länger als 10 bis 15 Minuten. Man muss also keine Stunden dafür einplanen – aber es ist wichtig, dass man sich wirklich täglich Zeit nimmt, um diese Übungen durchzuführen!
Ayurveda ist keine exklusive, geheime Wissenschaft – es ist eine Lebensweise, eine Art, seinen Alltag so zu gestalten, dass Körper und Geist im Gleichgewicht sind und der Mensch gesund bleibt. Ein Zuviel auf der einen Seite bedeutet immer ein Zuwenig auf einer anderen. Das führt zu Spannung, zum Ungleichgewicht – und letztlich zur Krankheit. Unser Ziel ist also, das Gleichgewicht der drei Doshas aufrecht zu erhalten bzw. wiederherzustellen, damit Krankheiten gar nicht erst aufkommen können.