Ein Gespräch mit Clarissa Döttinger über Form, Gefühl und die stille Kraft der Bronze.
Zwei Skulpturen. Zwei stille Gesten aus Bronze. Sie empfangen Menschen im Eingangsbereich von Engel Ayurpura – als Teil des Raums, als Ausdruck einer Haltung. Geschaffen hat sie Clarissa Döttinger, Künstlerin, Kunsttherapeutin und Ayurveda-Praktikerin. In ihrer Arbeit verbindet sie Form und Gefühl, Inneres und Äußeres. Ein Gespräch über die Sprache der Kunst, über das Wesen von „Überblick“ und „Ins Licht“ – und über das, was sich nicht erklären lässt, aber spürbar ist.
Persönlicher Weg & Inspiration
Ihr Werdegang vereint Malerei, Kunsttherapie und Ayurveda. Wie haben sich diese Elemente in Ihrem Leben ergänzt?
Malerei, Ayurveda und Kunsttherapie sind für mich keine getrennten Wege, sondern Ausdruck derselben Suche nach Ganzheit. Ayurveda lehrte mich, die Zusammenhänge von Körper, Geist und Seele zu verstehen. Die Kunsttherapie zeigte mir, wie diese Einheit im schöpferischen Tun erlebbar wird. Heute fließen alle Bereiche zusammen und bereichern sich gegenseitig als Weg, um Menschen ganzheitlich zu begleiten.
Gibt es Künstler oder Kunstströmungen, die Sie besonders geprägt haben?
Max Beckmann beeindruckt mich mit der Intensität seiner Selbstporträts. Francis Bacon zeigt in seinen Werken die Zerbrechlichkeit des menschlichen Körpers und die existenziellen Ängste des Menschen. Mark Rothko berührt mit der Tiefe seiner Farbfelder, Cy Twombly fasziniert mit spielerischer und poetischer Bildsprache, Constantin Brancusi reduziert aufs Wesentliche, und Henry Moore eröffnet neue Perspektiven in der Skulptur. Jeder von ihnen inspiriert mich auf unterschiedliche Weise.
Können Sie sich vorstellen, in Zukunft weitere Arbeiten für Engel Ayurpura oder ähnliche Orte der Ruhe und Inspiration zu schaffen?
Ja, sehr gerne. Engel Ayurpura und ähnliche Orte, die Ruhe, Inspiration und das Zu-sich-Kommen ermöglichen, sind wichtig für die Menschen; dort kann ich mir gut vorstellen, weitere Arbeiten auszustellen.
Was bedeutet Kunst für Sie heute?
Kunst ist für mich ein Weg, die eigene Innenwelt erlebbar zu machen und mit anderen zu teilen. Die Betrachtung von Kunst und das selber Kunst machen, beides zusammen gehört zum Leben, wie der Atem, der aus dem Ein- und Ausatmen besteht, wie die Natur ….. wie die Dolomiten.
Wenn Sie mit Ihren Skulpturen eine Botschaft hinterlassen könnten?
Ich gebe keine konkrete Botschaft vor. Jeder darf selbst entdecken, was die Skulpturen in ihm bewegen. Sie sind eine Einladung zur Auseinandersetzung. Das ist es, was Schönheit mit uns macht: Immer ist sie es, die unser Leben erweitert, bereichert. Ohne sie geht es nicht. Im dem Sinne verstehe ich auch Dostojewskis Postulat: „Schönheit wird die Welt retten“. Insbesondere können wir das menschliche Leben in diesem Moment spürbar verbessern, indem wir Schönheit verstehen und schöne Umgebungen schaffen.
Kunst, Material & Wirkung
Sie sind nicht nur Künstlerin, sondern auch Kunsttherapeutin. Welche Verbindung sehen Sie zwischen kreativem Schaffen und innerer Heilung?
Kreatives Schaffen und innere Heilung sind in der anthroposophischen Kunsttherapie eng verbunden. Durch Malen, Zeichnen oder Plastizieren werden innere Prozesse sichtbar, ausgedrückt und ins Gleichgewicht gebracht. Gefühle, Erfahrungen oder Blockaden, die oft schwer in Worte zu fassen sind, finden so ihren Ausdruck. Dabei werden die Selbstheilungskräfte angeregt, emotionale Blockaden können sich lösen, und es entsteht ein Raum für Selbstreflexion, Selbstwahrnehmung und persönliche Wandlung. Indem dieser schöpferische Weg Leib, Seele und Geist wieder miteinander verbindet, eröffnet er grundsätzlich die Möglichkeit für Heilung.
Bronze ist ein beständiges, fast zeitloses Material. Warum haben Sie sich für diese Technik entschieden?
Für mich ist es das schönste Material für Skulpturen. Marmor ist ebenfalls wunderschön, aber es erfordert eine ganz andere Arbeitsweise. Der grundsätzliche Unterschied ist, dass Ton langsam mit den Händen aufgebaut wird. Es ist zunächst nichts da, die Form entsteht wachsend. Beim Stein hingegen, der bereits da ist, wird von aussen nach innen wegschlagend, mit Hammer und Meisel, (am Schluss mit Schleifpapier) die Form herausgeschält. Das heisst, wenn ich was wegschlage, dann ist es weg. Peter Rosenzweig sagt: „Schau, fühl was in dem Stück Marmor drinnen ist und hole es raus.“
Engel Ayurpura steht für Stille, Leichtigkeit und bewusste Wahrnehmung. Sehen Sie Parallelen zu Ihrer künstlerischen Arbeit?
Künstlerisches Arbeiten bedeutet für mich natürlich bewusstes Sehen. Ich muss wahrnehmen, was stimmt und was nicht, ob konvex , konkav, Kanten, Flächen, ob die Formen in Balance sind. Meine künstlerische Arbeit ist daher auch ein Prozess der Bewusstwerdung. Umgekehrt wollen meine Skulpturen nicht nur betrachtet, sondern bewusst erlebt werden. Stille kann eintreten. Wenn die Wiederstände und Fragen gelöst sind, kann natürlich auch ein Gefühl der Leichtigkeit entstehen. Nach einer Panchakarma Kur im Engel Ayurpura entsteht auch körperlich eine Leichtigkeit, vielleicht auch seelisch, eine Reinigung, eine Klärung - so hab ich es erlebt.
Die Werke „Überblick“ & „Ins Licht
Ihre Skulpturen tragen die Titel „Überblick“ und „Ins Licht“. Welche Gedanken oder Emotionen haben Sie darin verarbeitet?
Wenn ich eine Skulptur beginne mit Ton aufzubauen, habe ich nur eine vage Ahnung, wohin sie sich entwickeln wird. Nach meiner Arbeit „Mittendrin“ wollte ich nun etwas Ruhiges und nach oben Strebendes entstehen lassen. „Ins Licht“ ist aus der Idee eines Samens entstanden, mit dem ich mich davor gestalterisch und inhaltlich auseinander gesetzt habe.
„Überblick“, die größere Bronze, vermittelt eine gewisse Erhabenheit. Welche Bedeutung hat dieser Titel für Sie?
Mitten im Leben hat man oft keinen Abstand zu dem Geschehen. Nach einer Zeit entsteht mehr Überblick; das habe ich in der Skulptur erlebt.
„Ins Licht“ klingt nach Bewegung und Transformation. Spiegelt sich darin ein besonderes Motiv oder persönliches Erlebnis?
Ja, es geht um etwas Neues, das dem Licht entgegen wächst, wie eine Pflanze, die sich entfaltet, oder vielleicht wie der Beginn einer neuen Lebensphase.
Ihre Arbeiten wirken trotz des massiven Materials leicht und organisch. Welche Rolle spielt diese Formensprache in Ihrer Kunst?
In der Leichtigkeit und Ausgewogenheit der Formensprache zeigt sich eine spielerische Freiheit ganz im Sinne von Schillers Worten: „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“
Was wünschen Sie sich, dass Menschen empfinden, wenn sie Ihren Skulpturen im Eingangsbereich des Engel Ayurpura begegnen?
Ich wünsche mir, dass die Besucherinnen und Besucher einen Moment innehalten und die Skulpturen in Ruhe auf sich wirken lassen. In diesem Wahrnehmen kann sich dann eine Empfindung einstellen. Welche, das will ich nicht vorgeben. Dennoch kann es idealerweise eine sein, die den Übergang vom Alltag in die Atmosphäre des Hauses bestimmt und vorbereitet.
Frau Döttinger, Sie waren bereits Gast im Engel Ayurpura, bevor Sie nun als Künstlerin mit Ihren Werken Teil dieses besonderen Ortes geworden sind. Wie haben Sie diesen Wandel erlebt?
Clarissa Döttinger: Mit sehr großer Freude. Die Perspektive ändert sich. Vom Eindruck als Gast zum Ausdruck dieses Erlebens als Künstlerin. Insofern wäre Letzteres ohne das Erstere so nicht möglich.
Welche Eindrücke haben Sie bei Ihrem ersten Aufenthalt im Engel Ayurpura besonders geprägt?
Der prägendste Eindruck war Frau Kohler, ihre Herzenswärme, ihre Leidenschaft für Ayurveda sowie ihre Kompetenz. Ihr hoher Anspruch an Professionalität und ihre Vision, ein schönes und „reines“ Ayurveda-Hotel zu schaffen, haben mich tief berührt und sehr erfreut.
Wie hat die Atmosphäre des Hauses oder die Landschaft der Dolomiten Ihre Arbeit beeinflusst?
Beides hat mich nicht direkt beeinflusst. Es war vielmehr eine Intuition: Die Verwirklichung von Frau Kohlers Herzenswunsch und meine Hochachtung dafür haben in mir den Wunsch geweckt, ein Teil dessen zu sein. Deshalb fühlte es sich für mich sehr stimmig an, meine Skulpturen hier einzubringen. Ich konnte mir gut vorstellen, dass sich das Engel Ayurpura und meine Skulpturen gegenseitig bereichern.
Was bedeutet es für Sie, Ihre Skulpturen an einem Ort wie dem Engel Ayurpura auszustellen?
Indien und Ayurveda haben mich stets inspiriert, und so träumte ich davon, ein eigenes Ayurveda-Hotel zu gestalten. Auch wenn es nie dazu kam, erfüllt es mich umso mehr mit Freude und Stolz, dass meine Skulpturen im Engel Ayurpura einen so passenden Platz in der Empfangshalle gefunden haben.