Ayurveda und Leichtigkeit

Im Gespräch mit Dr. Parth

Seit mehr als zwanzig Jahren widmet sich Dr. Parth der ayurvedischen Heilkunst – ein Weg, der ihn nun in die Dolomiten führt. Im Engel Ayurpura spricht er darüber, was Ayurveda im Kern bedeutet, weshalb „Leichtigkeit“ ein Schlüssel zu echtem Wohlbefinden ist und wie alte Weisheit uns heute dabei helfen kann, im Trubel des Alltags wieder freier zu atmen. Ein Gespräch mit Tiefe, Wärme – und überraschender Klarheit.
Dr. Parth, könnten Sie uns etwas über Ihren Hintergrund erzählen? Was hat Sie dazu bewogen, Ayurveda-Arzt zu werden?

Ich wurde in Aurangabad in Indien geboren, und mein Weg zum Ayurveda war alles andere als linear. Nach meinem Studium der Ayurvedischen Medizin und Chirurgie in Nagpur habe ich im ganzen Land weitergelernt – Panchakarma, Kräutertherapien, das ganze Spektrum.
Der eigentliche Wendepunkt kam jedoch früher: In meinen Zwanzigern litt ich an einer hartnäckigen Erschöpfung. Nichts Dramatisches, aber beständig zermürbend. Die moderne Medizin half – doch sie brachte mich nicht vollständig zurück ins Gleichgewicht. Ayurveda dagegen schon. Nicht nur körperlich, auch mental. Es fühlte sich an, als würde jemand das Licht wieder anschalten.
Dieser Moment hat mich geprägt. Heilung sollte kein Kampf sein, sondern eine Rückkehr zu etwas zutiefst Natürliches. Seit über zwanzig Jahren arbeite ich nun mit Menschen – Spitzensportler, gestresste Führungskräfte, Eltern im Dauereinsatz – und die Botschaft bleibt immer dieselbe: Kümmere dich um dein Gleichgewicht, bevor das Ungleichgewicht dich zwingt, stehenzubleiben.

Was bedeutet Ayurveda für Sie persönlich?

Ayurveda ist für mich eine Art, in dieser Welt zu leben. Es erinnert mich daran, dass ich nicht getrennt bin – weder von der Natur, noch von den Jahreszeiten oder meinen eigenen Gefühlen. Es wird „Wissenschaft vom Leben“ genannt, doch für mich geht es noch tiefer. Ayurveda steht für Sattva: Klarheit, Leichtigkeit, Freude – ohne Druck.
Es geht nicht um strenge Regeln, sondern um achtsames Hinhören. An manchen Tagen gelingt das spielend, an anderen gar nicht. Aber es bleibt echt. Ein lebenslanger Lernprozess: herauszufinden, was Leichtigkeit schafft und was sie nimmt. Wenn wir unserer inneren Flamme Raum geben, entsteht Leichtigkeit fast von selbst.

Ayurveda & die Philosophie von Engel Ayurpura

Engel Ayurpura verbindet Ayurveda mit einem modernen Gefühl von Leichtigkeit. Wie passt das zur ayurvedischen Tradition?

Sehr gut sogar. In den alten Schriften spielt laghu – die Qualität der Leichtigkeit – eine wesentliche Rolle. Nahrung, Bewegung, Gedanken: alles sollte uns eher befreien als beschweren. Ayurveda war nie dazu gedacht, stillzustehen. Es entwickelt sich weiter – wie die Natur selbst.
Im Engel Ayurpura bleibt die Tradition spürbar nah, aber mit einer frischen, alpinen Note: klare Bergluft, Weite, diese besondere Klarheit der Dolomiten. Wie eine warme Kurkuma-Milch, die gleichzeitig von einem kühlen Bergwind begleitet wird. Kein Verwässern – ein Weiterdenken. Ayurveda bleibt so lebendig und alltagsnah.

Viele Menschen halten Ayurveda für streng und regelgetrieben. Wie kann es intuitiver und natürlicher wirken?

Ein sehr häufiges Missverständnis. Ayurveda ist keine Disziplin der Perfektion oder Verbote. Es lädt dazu ein, achtsam hinzuspüren. Kleine Versuche:
  • Eine Tasse Ingwertee am Morgen – tut das gut?
  • Zehn Minuten Bewegung nach dem Essen – fühlt sich der Bauch leichter an?
  • Dem Körper Ruhe geben, wenn er danach verlangt – statt weiterzumachen wie immer.

Die Doshas sind Wegweiser, keine Käfige. Im Engel Ayurpura entstehen daraus Gewohnheiten, die sich ganz natürlich anfühlen – nicht wie eine Aufgabe, die man abhaken muss.

Ayurveda betont das Gleichgewicht von Körper und Geist. Was hat das mit Leichtigkeit zu tun?

Wenn Vata, Pitta und Kapha im Einklang sind, verliert vieles an Gewicht: Angst, Gereiztheit, Müdigkeit. Balance schafft Leichtigkeit – innen wie außen.
Ich habe Gäste erlebt, die nach einer Behandlung oder ein paar bewussten Atemzügen aussehen, als wäre eine Last von ihnen abgefallen. Leichtigkeit bedeutet nicht Leere. Es bedeutet, ganz da zu sein – ohne Ballast.

Leichtigkeit & Wohlbefinden

Was bedeutet „Leichtigkeit“ im Ayurveda – und gehört auch das emotionale Wohlbefinden dazu?

Absolut. Laghu guna zählt zu den grundlegenden Qualitäten im Ayurveda. Dabei geht es nicht nur um Verdauung oder Gewicht, sondern auch um Gedanken, Beziehungen, das Nervensystem und unseren Umgang mit Stress.

Ein Essen, das gut verdaulich ist, unterstützt den Körper.
Ein Gespräch, das uns stärkt, tut der Seele gut.
Und eine Übung, die den Geist beruhigt – ist ebenso Medizin.

Wahre Leichtigkeit entsteht, wenn Körper, Herz und Geist gemeinsam aufatmen.

Gibt es tägliche Rituale, die körperliche und mentale Leichtigkeit fördern?

Ich sehe Rituale wie kleine Liebesbotschaften an uns selbst. Sie müssen nicht aufwendig sein – im Gegenteil. Es sind Anker, die Körper und Geist daran erinnern, wie wohltuend Fürsorge ist.
Zum Beispiel Abhyanga: eine warme, ruhige Selbstmassage mit Sesamöl vor der Dusche. Sie erwärmt das Gewebe, bringt den Kreislauf in Schwung – und plötzlich lässt die Anspannung nach.
Für den Geist empfehle ich oft Trataka: fünf stille Minuten, den Blick auf eine Kerzenflamme gerichtet, bis die Gedanken etwas leiser werden.
Und ich schwöre auf Zungenschaben am Morgen – ein winziger Handgriff, der das Alte entfernt, körperlich und irgendwie auch emotional.
Sogar ein Moment der Dankbarkeit kann viel verändern: Drei Dinge benennen, die uns jetzt gerade ein Lächeln schenken – ein Bergblick, ein Lichtstrahl am Morgen oder einfach ein ruhiger Atemzug.
Diese Gewohnheiten sind keine Pflichten. Sie sind Funken. Und wenn sich genug davon entzünden, wird Leichtigkeit nicht angestrebt – sie kommt von selbst zurück.

Und wie hilft Ayurveda dabei, Stress abzubauen?

Stress ist im Ayurveda ein Vata-Zustand im Überfluss: Gedanken jagen, der Körper findet keine Ruhe, der Atem verliert seinen Rhythmus. Ayurveda holt das System wieder auf den Boden zurück:
  • Warme Ölbehandlungen (z. B. Shirodhara) bringen die Gedanken zur Ruhe.
  • Adaptogene Kräuter wie Ashwagandha stabilisieren, ohne zu betäuben.
  • Regelmäßige Tagesstrukturen geben der Unruhe weniger Angriffsfläche.

Nicht unterdrücken – leiten. Wir lernen, den Wind zu lenken, statt ihn zu bekämpfen.

Ayurveda in den Dolomiten

Wie haben Sie das Konzept von Engel Ayurpura aus medizinischer Sicht mitgestaltet?

Meine Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass jede Anwendung in ihrer ayurvedischen Tiefe verankert bleibt – und zugleich die Leitidee von Engel Ayurpura widerspiegelt: Leichtigkeit.
Wir haben individuelle Behandlungswege entwickelt, lokale alpine Pflanzen integriert und legen großen Wert darauf, jeden Gast wirklich zu sehen – inklusive traditioneller Pulsdiagnose. Es ist medizinische Expertise, verbunden mit Intuition. Und mit viel Herz.

Welche Rolle spielt die Natur hier für Ihre Arbeit?

Die Berge sind großartige Lehrmeister. Kraftvoll und zugleich still. Voller Lebensenergie – Prana. Allein draußen zu sein, bringt das Nervensystem zurück ins Gleichgewicht.

Eine Wanderung im Sonnenaufgang – wie Meditation in Bewegung.
Der Duft des Waldes – wie Kräutertherapie, direkt aus der Natur.
Ayurveda entfaltet seine Wirkung besonders dann, wenn die Natur nicht nur Kulisse, sondern Partner ist.

Gibt es Anwendungen, die das Prinzip der Leichtigkeit besonders gut einfangen?

Ja, mehrere – jede öffnet ihre eigene Tür zur inneren Weite:

Abhyangam
Warme Öle, ruhige, fließende Streichungen, Kräuter aus der Region. Tiefes Loslassen – ohne Druck. Man steht leichter auf.

Mountain Meditation & Puja
Weit über dem Alltag – der Geist wird klarer. Ein abschließendes Ritual lädt ein, Ballast zurückzulassen.

Hrid Basti
Ein kleiner Teigring auf dem Brustbereich, gefüllt mit warmem Kräuteröl – das emotionale Herz atmet aus.

Shiro Dhara
Ein sanfter Ölfluss über die Stirn. Gedanken werden leise. Raum entsteht. Ein Morgengrauen im Inneren.

Udvartanam
Kräuterpulver wecken Haut und Kreislauf. Der Körper erinnert sich an seine Energie und sagt wieder: Ja.

Shiro Pichu
Warmes Öl am Scheitelpunkt – überraschend kraftvoll zur Beruhigung des Nervensystems.

Dhumapana
Aromatischer Kräuterdampf befreit die Sinne. Und symbolisch: ein Ausatmen, nach langer Zeit des Festhaltens.

Jede dieser Behandlungen erinnert daran: Du musst nicht alles tragen.

Ayurveda im Alltag

Viele Gäste haben wenig Zeit. Welche drei einfachen Prinzipien kann jeder umsetzen?

Zeit ist kostbar – also machen wir es leicht.
Man braucht kein ganzes Retreat, um Veränderung zu spüren. Fang klein an:
Ein Glas warmes Wasser am Morgen, das die Verdauung sanft weckt – wie die Sonne, die langsam den Tag öffnet. Iss, was die Saison gerade schenkt – der Körper versteht diese Sprache besser als jede Diätregel. Und setze dir eine kleine Absicht für den Tag. Nur einen Satz, den du wirklich mitnehmen kannst. Zum Beispiel: „Heute bewege ich mich mit Leichtigkeit.“ Kein Perfektionismus – nur eine Richtung.
Gib dem eine Woche. Du wirst staunen, wie leise sich der Körper an ein gutes Gefühl erinnert.

Welche Morgenrituale lieben Sie persönlich für einen leichten Start in den Tag?

Ich halte es kurz und ehrlich. Eine Nasenspülung, ein paar aktivierende Atemzüge – die inneren Fenster öffnen sich, der Geist startet klar. Dann ein warmes, nährendes Frühstück; nichts Kompliziertes, etwas, das der Magen versteht.
Und bevor E-Mails oder Geräusche kommen, gehe ich nach draußen. Nur für einen Moment. Ich schaue zur Sonne – oder zu den Wolken, wenn die Sonne sich versteckt – und sage leise: Danke.
Diese fünfzehn Minuten wirken wie ein Reset. Plötzlich fühlt sich der Tag größer an, mit mehr Raum – und der Körper erinnert sich, wie frei Stehen eigentlich geht.

Gibt es eine Weisheit aus dem Ayurveda, die Sie besonders gerne weitergeben?

Ein Satz aus der Charaka-Samhita begleitet mich immer wieder:
„Wenn ein Mensch bei sich selbst ankommt, fühlt er sich verbunden mit allem.“

Leichtigkeit bedeutet nicht, jemand anderes zu werden oder einer zukünftigen Version von sich hinterherzulaufen. Es ist ein sanftes Erinnern – dass wir bereits ganz sind. Und dass jeder Atemzug uns dorthin zurückführen kann.

Ein Atemzug nach dem anderen. Immer.

Dr. Parth, vielen Dank für dieses inspirierende Gespräch.