Es schneit, als ob Frau Holle die Kissen und Betten eines ganzen Hotels schütteln müsste. Große Flocken schweben vom Himmel und versammeln sich auf dem Boden zu einer flauschigen Decke. Ich habe alle Hände voll damit zu tun, nicht hinzufallen, während ich die Einfahrt des Wellnesshotels Engel hinunter stapfe. Schließlich schaffe ich es zum Hoteleingang und betrete die Lobby. Hier bin ich also, um mir vom renommierten Ayurveda-Arzt Dr. Mishra den Puls und somit den Körper und den Geist lesen zu lassen. Man erwartet mich bereits – und ich kann’s kaum erwarten!
Der Tag der Erkenntnis!
Und dieser beginnt mit einer Massage! Abhyanga heißt sie, wie mir Masseur Nilantha erklärt. Sie wird seit über 5000 Jahren im Ayurveda praktiziert. Und ich kann verstehen, warum! Kopf, Nacken, Rücken, Beine, Arme – mein ganzer Körper wird mit dem speziellen Navarathna-Öl massiert und ich fühl mich schon nach den ersten paar Minuten deutlich entspannter. Während Nilantha meine Arme und Beine streckt, fragt er mich, ob ich Probleme mit dem Blut hätte. Ich verneine – nicht, dass ich wüsste, und wundere mich ein wenig über diese doch etwas eigenartige Frage. Zugleich verlasse ich mich darauf, dass Dr. Mishra ein eventuelles Blutproblem sicherlich erkennen wird, wenn er später dann meinen Puls liest.
Nach gut einer Stunde im ayurvedischen Behandlungshimmel schwebe ich aus dem Spa-Bereich hinaus in die frische Winterluft. Ein Spaziergang im Garten, das ist es, was ich jetzt brauche. Schneereiche Ruhe umgibt mich dort und der Dampf aus dem 32° C warmen Pool ...
Pulsierende Diagnose
Etwas später ist es dann soweit: Dr. Mishra begrüßt mich in seinem Beratungszimmer auf Englisch und bittet mich, Platz zu nehmen. Zunächst erzählt er mir vom Ayurveda, vom „Wissen des Lebens“. Ayurveda ist eine ganzheitliche Philosophie, sie befasst sich mit der Einheit von Körper, Geist und Seele – betrachtet den Menschen also als großes Ganzes, in dem alles zusammenspielt und ineinanderwirkt. Körperliche Beschwerden können auf geistige Ursachen zurückgeführt werden und umgekehrt.
Schließlich nimmt er meine Hand und legt seine Finger auf meinen Puls. Aus meinem Pulsschlag liest er, welche der drei Doshas – Lebensfeuer oder Lebensenergien – in meinem Wesen verstärkt vorkommen, welche hingegen vermindert. Aus dem Gespräch zu Beginn der Konsultation weiß ich, dass Vata, Pitta und Kapha in jedem Menschen vorhanden sind. Bei der Geburt befinden sie sich im Ausgleich, geraten aber im Laufe des Lebens fast immer außer Balance. Die Wiederherstellung des Gleichgewichts dieser Lebensfeuer stellt laut Ayurveda den Ursprung der ganzheitlichen Gesundheit dar. Dr. Mishra deutet mir, alles auf dem Blatt Papier zu notieren, das er für mich bereitgelegt hat. Er erklärt mir meine individuelle Dosha-Konstitution und, welche Körpersysteme die einzelnen Doshas beeinflussen: Vata wirkt beispielsweise auf das Nervensystem, Pitta auf den Stoffwechsel, Kapha auf das Immunsystem. Ersteres wirkt sich auf den Verstand aus, zweiteres auf den Mut und drittes auf die Toleranz. Vata ist das Dosha der Luft, Pitta jenes des Feuers und Kapha das des Wassers. Bei mir überwiegt Vata, das für Bewegung steht, aber auch Pitta ist etwas erhöht – das bedeutet Verwandlung. Dr. Mishra erklärt mir nun, auf welche Lebensmittel ich verzichten sollte, um die drei Lebensfeuer in meinem Körper auszugleichen: kein rohes Gemüse, keine zu trockenen Lebensmittel, wie Kräcker beispielsweise. Kein Blumenkohl und keine Bohnen, kein Spinat, keine Nüsse – bis auf Mandeln gelegentlich. Auch rotes Fleisch soll ich aus meinem Speiseplan streichen, stattdessen auf weißes umsteigen. Für mich kein Problem, da ich ohnehin eher zu Huhn- und Truthahnfleisch greife. Das Einzige, das mich aufschrecken lässt, ist der Verzicht auf rohes Gemüse! Aber gut, das soll mich nicht von meinem Selbstversuch abbringen.
Einatmen, ausatmen – aufatmen
Auf die Ernährungsratschläge folgen Atemübungen. Dr. Mishra weiß – hat er das tatsächlich aus meinem Puls gelesen? Wie sonst könnte er es wissen? –, dass meine Atemwege stets etwas verschlossen sind. Die Atemübungen aus dem Ayur-Yoga, die er mir gleich zeigt, sollen dabei helfen, sie zu befreien. Er macht mir jede Übung vor und beobachtet mich auf’s Genaueste, während ich sie nachmache. Und dann schreibe ich mir wieder alles auf, Atemzug für Atemzug. In meinem Blut ist das Hämoglobin etwas niedrig, erklärt mir Dr. Mishra. Das sei nicht weiter schlimm, es sei keine Krankheit, über die ich mir Sorgen machen müsste – aber die Atemübungen und die Ernährungstipps könnten mir dabei helfen, dieses kleine Defizit auszugleichen. Ich frage mich, wie Nilantha das bei der Massage vorhin merken konnte! Und bin zugleich erleichtert, dass mein „Problem mit dem Blut“ nichts Gravierendes ist. Aber eigentlich bin ich überwältigt – erst recht, als mich eine Stimme in meinem Kopf etwas später daran erinnert, dass da doch mal was war mit meinem Blut! Im Zuge einer Blutspende sagte man mir, dass ich eine leichte Anämie hätte, die allerdings nicht weiter schlimme wäre, darum hatte ich sie auch bald wieder vergessen.
Fazit: Augenöffnend
Die Puzzleteile fügen sich zusammen, als ich im Nachhinein weiter recherchiere. Niedrige Hämoglobinwerte bedeuten eine Blutarmut, also eine Anämie, die auch mit Eisenmangel einhergeht. Symptome können Müdigkeit und gelegentliche Kopfschmerzen sein. Und das wiederum würde erklären, warum ich täglich noch vor 9 Uhr auf dem Sofa einschlafe! Wahnsinn. Ohne Blutproben, ohne Allergietest – mit einem einfachen Griff auf meinen Puls hat Dr. Mishra das alles aus meinem Körper gelesen. Seine Tipps will ich jetzt erst recht umsetzen! Ob es mir gelingen wird? Dazu mehr beim nächsten Mal!